Masterthesis
Malte Grosch

Erstprüfer*in:
Prof. Eike Roswag Klinge

Zweitprüfer*in:
Prof. Nanni Grau

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© Malte Grosch

Diese Arbeit zeigt eine nachhaltige Nutzungsperspektive für die Pariser Bains Douches, anhand eines stellvertretenden Bestandsgebäudes im 19. Arrondissement auf. Diese Dusch und Badehäuser waren einst integraler Bestandteil des Pariser Alltags, haben jedoch infolge der Verbreitung privater Badezimmer Mitte des letzten Jahrhunderts zunehmend an Relevanz verloren. Die wenigen noch in Betrieb befindlichen Duschhäuser werden meist täglich frequentiert und gehören für Personen, die auf der Straße leben, aber auch Menschen, die an der Armutsgrenze leben, zu unverzichtbaren institutionellen Einrichtungen des alltäglichen Lebens. 

Projekt Dokumentation (PDF, 75MB)

Die, aufgrund der gesunkenen Nachfrage, geschlossenen Gebäude stehen vor einer Zukunftsfrage, die über die Stadtgrenzen von Paris hinausgeht. Diese Thesis verfolgt nicht nur den Ansatz, das bauliche Erbe zu wahren und den Abriss zu vermieden, sondern die infrastrukturelle und soziale Rolle im urbanen Kontext fortzuführen bzw. zu erweitern. Mit dem Konzept des “Bains Solidaires” wird der Programmkatalog des Gebäudes auf ein Haus der umfassenden Unterstützung für in prekären Lebensverhältnissen lebende Menschen erweitert. Die Arbeit untersucht die besonderen Herausforderungen bei dieser Nutzer*innengruppe und bietet Einblicke in die Erkenntnisse von Sozialarbeiter*innen, die in diesem Kontext tätig sind. Die bauliche Transformation des Bestandsgebäudes fokussiert sich auf einen minimalinvasiven Ansatz, dessen Strategien auf weitere Bains Douches Gebäude angewandt werden können, um diese an die veränderten gesellschaftlichen Bedürfnisse anzupassen und den gebauten Bestand zu schützen. 

Bestandspläne 1 rue Petitot, 70519 Paris Architekt: André Sill Baubeginn: 11/1929 Eröffnung: 04/1935 Errichtet im Rahmen der Direction de l’Hygiene de France. Typologie basierend auf dem Programmtyp der Bains-Douches de la rue des Haies entwickelt von Henri Gautruche u. Georges Planche 
Ein vertieftes Verständnis für die gesellschaftliche Relevanz der Typologie der Bains Douches erfordert einen historischen Rückblick, der bis in das Mittelalter zurückreicht. Die Korrelation zwischen der Anzahl öffentlicher Badeeinrichtungen und der jeweiligen städtischen Dimension offenbart wesentliche Rückschlüsse auf das hygienische Bewusstsein einzelner Epochen. Die zunächst allgegenwärtigen und äußerst frequentierten Étuves verschwinden im Verlauf der Jahrhunderte unter anderem infolge der Dominanz der Miasma-Theorie. Erst im 20. Jahrhundert wird Hygiene zu einem staatlich regulierten Handlungsfeld – ein Paradigmenwechsel, der sich architektonisch im Entstehen des Bautyps der Bains-Douches in Paris manifestiert.
Die flächendeckende Ausstattung privater Haushalte mit Badezimmern aufgrund des wachsenden Wohlstands in den letzten Jahrzehnten führte sukzessive zur Schließung zahlreicher öffentlicher Badeanstalten. Der verbleibende Gebäudebestand erfährt zunehmend funktionale Umnutzungen: Angesichts ihres architektonischen Erbes, der großzügigen Raumvolumina und der stadträumlichen Präsenz werden ehemalige Bains Douches vermehrt in private Clubs, Co-Working-Spaces oder Kunsträume transformiert. Diese neuen Nutzungsformen richten sich jedoch nahezu ausschließlich an eine privilegierte urbane Klientel, während jene sozial schwachen Bevölkerungsgruppen, für die die Einrichtungen einst ein integraler Bestandteil grundlegender Infrastruktur waren, systematisch ausgeschlossen bleiben. Damit manifestiert sich ein struktureller Wandel, der Fragen nach sozialer Gerechtigkeit im städtischen Raum erneut virulent werden lässt. 
Eine im Jahr 2019 im Auftrag der Stadt Paris durchgeführte Studie zum Nutzungsverhalten der Bains-Douches erfolgte vor dem Hintergrund der unklaren zukünftigen Perspektive dieser Einrichtungen im urbanen Gefüge. Ziel der Untersuchung war es, die Nutzer*innengruppen präzise zu definieren sowie deren spezifische Bedürfnisse systematisch zu erfassen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse bilden eine zentrale analytische Grundlage für die weiterführende Auseinandersetzung mit dem architektonischen Bestand und fungieren zugleich als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines Raumprogramms, das gezielt auf die besonderen sozialen und funktionalen Anforderungen der Nutzer*innen eingeht. 
Der direkte Praxisbezug bildete den prägendsten Zugang zur Thematik. In der Arbeit mit obdachlosen und stadtarmen Menschen wurde spürbar, wie durch essentielle Fürsorge ein Stück Würde zurückgewonnen werden kann. Besonders eindrücklich waren die unausgesprochenen Regeln und internen Abläufe innerhalb der Berliner Stadtmission, die ich skizzenhaft dokumentierte. Vertiefte Einblicke in geschlechterspezifische Bedürfnisse ermöglichten Gespräche mit Mitarbeiterinnen des Duschmobils für Frauen sowie der Einrichtung „Evas Haltestelle“. 
Die neue Grundrissstruktur des Bains Solidaire zeichnet sich durch eine präzise räumliche wie zeitliche Zonierung der Funktionsbereiche aus. Das vormals lediglich auf zwei Etagen öffentlich zugängliche Gebäude bietet nun auf allen Ebenen ein gestaffeltes Spektrum an Hilfsangeboten – von einer kurzzeitigen Duschmöglichkeit über mehrstündige Tagesprogramme bis hin zu Notübernachtungsplätzen. Zentrale Bedeutung kommt den strategisch sichtbar angeordneten Mitarbeiterräumen zu, deren Präsenz das Sicherheitsgefühl einer teils traumatisierten Nutzer*innenschaft stärkt und wesentlich zur Schaffung eines Ortes des Wohlbefindens beiträgt. 
Anstelle der ehemaligen Heizkessel und Kohleöfen finden heute die Tagesprogramme umliegender Hilfsorganisationen im Bains Solidaire ihren räumlichen Ausdruck. Diese neue Regelmäßigkeit verleiht dem Alltag der Nutzer*innen eine wichtige Struktur und stellt eine wesentliche Erweiterung des bestehenden Hilfsangebots dar. Die unterschiedlichen Höhen des historischen Untergeschosses eröffnen vielfältige Nutzungsebenen: So kann etwa der derzeit von einer lokalen Hilfsorganisation angebotene Bau von Vogelhäusern für den direkt angrenzenden Place des Fêtes in der tiefer gelegenen Werkstattebene realisiert werden, während Kreativkurse unter dem neu geschaffenen Oberlicht bei angenehmer, gleichmäßiger Tagesbelichtung stattfinden. 
Die ausschließlich nachts zugänglichen Räumlichkeiten der aufgestockten Ebene werden über einen zentralen Erschließungsgang betreten, dessen potenziell monotone, korridorartige Wirkung durch integrierte Sitznischen aufgebrochen wird. Deren Einsichtigkeit bleibt dabei bewusst gewahrt, um sowohl die Kommunikation zu stärken, als auch soziale Kontrolle zu gewährleisten. Ein zentral positionierter Mitarbeitendenraum mit Blickbeziehung zum gesamten Gang ermöglicht eine durchgängige Präsenz und trägt so zum Sicherheitsgefühl der Nutzer*innen bei. 
Der Hygienebereich nimmt eine zentrale Rolle innerhalb des Gebäudes ein: Die für alle Personen frei und unentgeltlich zugänglichen Duschen bilden den elementaren Bestandteil des sozialen Programms. Die Konzeption dieses Bereichs wurde in Zusammenarbeit mit der Hygienestation der Bahnhofsmission Berlin entwickelt, um insbesondere den spezifischen Bedürfnissen von Menschen ohne festen Wohnsitz gerecht zu werden. Hier stehen Fragen nach Würde, Selbstwertgefühl, aber auch nach Trauma-Sensibilität und geschützten Rückzugsräumen im Vordergrund. Die daraus resultierenden architektonischen Maßnahmen äußern sich in Detailausbildungen, die über die üblichen Standards einer öffentlichen Duschanlage hinausgehen. 
With: Malte Grosch