Bachelorthesis WiSe 21 / 22
Sarra Abid, Merlin Ehlers, Jonas Haala, Niko Hoeck, Katerina Tzouvala

Betreuung: Natural Building Lab
Zweitprüferin: Prof. Anupama Kundoo

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© Sarra Abid, Merlin Ehlers, Jonas Haala, Niko Hoeck, Katerina Tzouvala

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage, wie Orte, deren Geschichte von Entwicklung und Modernisierung geprägt sind, einen höheren Grad an Autonomie und Entscheidungsfreiheit zurückerlangen können. Am Beispiel der Serkong School hinterfragen wir, ob eine Mehrzahl an westlichen freiwilligen Helfer*innen und Spendengeldern nur dann hilfreich ist, wenn es eine langfristige Planung und einen Willen zur eigenständigen, gemeinschaftlichen Entscheidungsfindung gibt. Mithilfe von architektonischen Interventionen verbildlichen wir diese Idee von höherer Autonomie durch gemeinschaftliches Entscheiden, Stärkung der lokalen Identität und Experimentieren.

Die Serkong School in Tabo ist eine 1999 vom Dalai Lama gegründete Schule zum Erhalt und der Förderung der lokalen Tradition des Spiti-Tals, einer abgelegenen Region im nordindischen Himalaya. Diese ist seit jeher geprägt von der schwierigen Landwirtschaft und Viehzucht in dieser kalten Wüste auf durchschnittlich 4270m ü.N.N.
In den Oasen am Flussbett des Spiti-Rivers hat sich über die letzten tausend Jahre eine reiche Kultur entwickelt, geprägt vom tibetischen Buddhismus und dem Verlauf der Jahreszeiten: die Sommer dienen der harten Arbeit auf dem Feld, während die extrem kalten Winter von Hochzeiten, religiösen Zeremonien und familiären Feierlichkeiten geprägt sind.
Durch Militarisierung, Modernisierung und westliche Entwicklung hat die gesamte Region in den letzten 3 Jahrzehnten das politische und wirtschaftliche Interesse auf sich gezogen: Wasserkraftwerke, Straßennetzwerke und Stromnetze wurden errichtet um das Tal fest auf der indischen Landkarte zu platzieren. Wachsende Touristenströme zeigen das steigende Interesse an der Region und ihrer unberührten Natur, den beseelten Einwohnern und den uralten Klostern.
Doch diese Entwicklung blieb nicht ohne Folgen: Starker wirtschaftlicher Druck auf die Landwirtschaft und die westlichen Einflüsse auf die Lebensweise führen dazu, dass das traditionelle Wissen über Wasser- und Landnutzung, die Sprache und Kultur verloren geht.
Um dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen, gründete der Abt des Klosters in Tabo, einem
der größeren Dörfer in Spiti, eine Privatschule. Sie soll neben moderner Bildung den Jüngsten ihre eigene Tradition, Kultur und vor allem Sprache näherbringen und so dem Verlust dieser wertvollen Ressource vorbeugen. Die Schule unterrichtet etwa 250 Schüler*innen, die in den Hostels auf dem Schulgelände wohnen. Der Unterricht richtet sich nach dem indischen Lehrplan und wird auf Hindi durchgeführt, doch es werden daneben auch die lokale Sprache Bhoti sowie traditionelle Musik und Tanz gelehrt.

Gardening & Students Kitchen

Unsere architektonischen Interventionen werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten – oder zumindest hoffen wir, dass sie das tun. Sie fassen unsere Beobachtungen zusammen und verdeutlichen, wie viel die Gemeinschaft mit den ihnen bereits zur Verfügung stehenden Ressourcen erreichen können, wenn sie mit einer gemeinsamen und klaren Vision vor Augen zusammenarbeiten. Wir haben architektonische Konzepte für den Himalaya ausschließlich aus westlicher Sicht erforscht und können daher nur Vorschläge und keine vollständigen Lösungen vorschlagen.

Die alten Gewächshäuser werden wiederbelebt und mit einer Gemeinschaftsküche als alternatives Klassenzimmer für die Schüler ausgestattet. Dort lernen sie neben der Verantwortung für die Zubereitung von Lebensmitteln auch traditionelle Kochverfahren und Mahlzeiten kennen. Die introvertierte Architektur der Küche, die den tibetischen Häusern in der Region sehr nahe kommt, ist ein Beispiel für zukünftige architektonische Ergänzungen des Campus.
Modellfoto

Open Learning Space

Um mit minimalen Mitteln eine große Wirkung zu erzielen, schlagen wir im alten Apothekengebäude, das sich im südlichsten Teil der Mehrzweckhalle befindet, eine reine Nutzungsänderung vor. Die Apotheke wird in einen vielseitigen Unterrichtsraum umgewandelt, in dem praktische Arbeit sowie traditioneller Tanz und Musik im Mittelpunkt stehen.

Der neue Lernraum, der die Mehrzweckhalle mit einem zuvor ungenutzten Hof verbindet, schafft eine Pufferzone zwischen Innen und Außen, die beide Bereiche bespielen kann. Eine Trombe Wall an der südlichen Fassade schafft gut temperierte Räume, in denen die Schüler sich auch im Winter kreativ entfalten können.

Diese wenigen Monate waren für unsere Gruppe eine großartige Lernerfahrung. Die ursprüngliche Frage, wie wir Tabo helfen können, verwandelte sich schnell in: Was können wir von Tabo lernen?
Tabo hat uns gezeigt, dass die Richtung des Fortschritts kein universelles Konzept ist. Sie sollte nicht passiv hingenommen werden, sondern vielmehr an den jeweiligen geografischen und kulturellen Kontext angepasst werden. Orte mit einer Geschichte westlicher Entwicklung und Modernisierung können und sollten ein größeres Maß an Autonomie zurückgewinnen, indem sie sich wieder auf ihre Wurzeln und Ressourcen besinnen. Das Beispiel der Serkong-Schule verdeutlichte, dass eine Vielzahl westlicher Freiwilliger und Spender nur dann hilfreich ist, wenn es eine langfristige Planung und eine autonome Gemeinschaft im Kern gibt.

Vielen Dank an Serkong Rinpoche, Padma Chottar, Annette Kleinbrot, Satprem Maini, Pratyush Shankar, Dorje, Tashi, Anam, Santosh & die gesamte Serkong School

With: Jonas Haala, Katerina Tzouvala, Merlin Ehlers, Niko Hoeck, Sarra Abid