Masterthesis WiSe 20-21
Kooperation mit dem TU Präsidium, Büro für Transdisziplinäre Lehre
Magdalena Böttcher, Selina Schlez und Sina Jansen

Betreuung: Natural Building Lab
Zweitprüferin: FG DE/CO

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© Magdalena Böttcher, Selina Schlez und Sina Jansen

Wie soll das System Hochschule künftig funktionieren? Wie sollen zukunftsfähige Lehre und Lernorte gestaltet und verwaltet sein? Wie können wir diese Zukunft mitgestalten? — Um einen zukunftsfähigen Transformationsprozess der TU Berlin zu gewährleisten, bedarf es der Eröffnung, Evaluierung und Verstetigung eines universitären Raumes, der materielle und immaterielle Ressourcen für disziplin- und statusgruppenübergreifendes Lernen und Arbeiten bereitstellt, Freiräume zur (nicht) akademischen Entfaltung bietet und alle Studierenden zu politisch wirksamen Akteur:innen ausbildet. Mit anderen Worten: ein Ort, an dem Studierende lernen, zu handeln. Am Beispiel des bald (temporär) leerstehenden Mathegebäudes der TU Berlin illustriert die Masterarbeit „Neue Lehre aus der Leere“ einen möglichen Transformations- und Umnutzungsprozess und formuliert damit einen Aufruf zum Handeln und Mitgestalten von Universität.

PROZESS STATT PRODUKT

Auf der Suche nach Antworten auf die oben genannte Fragen, muss weniger das Produkt selbst (die Hochschule der Zukunft) als der Weg dorthin gedacht werden. Das Fokussieren auf Prozesse anstatt Produkte entspricht dabei nicht nur unserer Haltung als junge Architektinnen, sondern ist im Fall dieser Arbeit zu unserer Maxime geworden. Essentieller Punkt war dabei auch das Suchen nach neuen Werkzeugen und Kommunikationsmitteln für eine Arbeit die sich nicht in Grundrissen, Plänen und Visualisierungen widerspiegelt, sondern die Geschichte eines Prozesses erzählt der gleichzeitig Aufruf zum Handeln und Mitgestalten von Universität ist.

Wie definiere ich notwendige, rahmengebende Parameter die eine Absicht für die Zukunft äußern und gleichzeitig so ergebnisoffen sind, dass künftige Entwicklungen Teil der Planung und Entwicklung sein können? Wie plane ich das nicht-habtische, nicht-planbare? Wie kommuniziere ich ein mögliches Zukunftsszenario so, dass es als dieses verstanden wird und trotz aller Fiktion als ernstzunehmender Vorschlag gelesen wird?

Der lernende Prozess: Es geht um die erfahrungsbasierte Verstetigung eines Prinzips bzw. Modells. Überträgt man das Prinzip des lernenden Prozess auf das System Hochschule, eröffnet das die Möglichkeit alle Ebenen der Institution zu transformieren: physisch (Räume und Flächen), politisch (Hierarchien und Entscheidungen), kulturell (gesellschaftlicher Auftrag und Atmosphäre) und prozessual (TradItion und Fortschritt). 

AKTIV STATT PASSIV

An den Berliner Hochschulen gibt es dringenden Sanierungsbedarf. Weil Planungs- und Vergabeverfahren der entsprechenden Mittel und Absprachen zwischen Universitäten und Berliner Senat langsam und aufwendig sind, herrscht Sanierungsstau. Wir lesen den Hochschulstandort-Entwicklungsplan der TU Berlin als eine organisatorische Grundlage für ein Weiterdenken dieser Planungsprozesse. In der linearen Sanierungskette stecken Lücken, die es zu aktivieren und zu nutzen gilt. Wir sehen ein großes Potenzial in der Transformation der Gebäude und fordern “Mut zur Lücke!”. Angefangen mit dem Mathegebäude werden in den nächsten Jahren, auf einander folgend Gebäude auf dem Campus saniert. Die Kette beginnt immer mit dem Leerzug eines Gebäudes in einen Ausweichstandort, dem dann eine umfassende Sanierung des ersten Gebäudes folgt. Nach Fertigstellung ziehen die Nutzer*innen des nächsten zu sanierenden Instituts in das fertig gestellte Gebäude. Wir sehen hier großes Aktivierungspotenzial, so dass die geplanten Umbaumaßnahmen treibende Kraft für nicht nur bauliche Sanierung sondern auch inhaltliche Reformen sein können. Die Baustelle wird somit auch zum Auftakt einer gedanklichen Modernisierung von Universität und Ort für Veränderung.

Die sogenannte Sanierungskette der TU Berlin von heute bis 2100, sie ist Bestandteil des Hochschulentwicklungsplan.

KOLLEKTIV STATT ALLEINE

Die Arbeit zeigt am Beispiel auf, wie innerhalb der TU Berlin räumliche Potenziale erprobt, organisatorische Strukturen geschaffen und neue Instrumente entwickelt werden können, die übertragbar sind und langfristig die DNA der Hochschule positiv beeinflussen. Dabei ist eine Sache besonders wichtig: die Gestaltung von Universität bedarf mehr Stimmen, Raum und Ressourcen und muss als ernstzunehmendes Forschungsfeld betrachtet werden. Unser ganzes Studium hindurch war es ein persönliches Anliegen uns weiterführend und kritisch mit unserem Lernumfeld und der Lehre im Allgemeinen auseinander zu setzen. Das Experiment als Konzept für das (Er-)Finden neuer Arten zu lernen und zu lehren war daher ein logischer Schritt, genauso wie das Erproben unterschiedlicher Formate in der Kommunikation und Gruppenarbeit. Als quasi natürliche Konsequenz betrachten wir unsere Arbeit ebenfalls als ein Experimentierfeld, immer angetrieben von der Motivation aktiv an der Gestaltung unserer Universität teilzunehmen, mitzureden, mitzudenken und mitzumachen. Dabei war es ein Hauptanliegen dies nicht alleine zu tun, sondern unsere Überlegungen entlang des Weges mit möglichst vielen verschiedenen Akteur*innen zu diskutieren. Im Rahmen unserer Masterarbeit haben wir ein Seminar angeboten in dem wir mit einem transdizsiplinären Team von Studierenden der TU Berlin in einer Zukunftswerkstatt kollektive Kritik, Forderungen und schließlich alternative Nutzungskonzepte für das Mathegebäude entwickelt haben. Hier zu sehen sind einige Ergebnisse der “Mathe AG”.

Ergebnisse der “Mathe AG”, einer Mikroakademie am ISR der TU Berlin. Die Mikroakademie ist ein bereits etabliertes Lehrformat von Studierenden für Studierende in dem wir in einer Zukunftswerkstatt gemeinsam über die TU Berlin, das System Hochschule, Lernen und Lehren und das Mathegebäude gesprochen haben.

Im Folgenden wird ein Vorschlag für einen Transformationsprozess formuliert, in dem Teile der TU Berlin zu studentischen Räumen umwandelt werden sollen. Ausgansgpunkt der Überlegungen und Experimentierfeld dieses Prozesses ist das ehemalige Institut für Mathematik. Die Debatte um die Zukunft des Mathegebäudes kann jedoch nicht auf Ebene des Gebäudes geführt werden. Stattdessen muss die gesellschaftliche Aufgabe und die Zukunft von Universitäten diskutiert werden. Dabei muss ganz grundlegend die Frage nach der Gestaltung eben dieser Zukunft im Zentrum stehen und die Frage nach dem Wie. Ein strukturelles Update und die zukunftsweisende Transformation von Universität kann nur gemeinsam über alle Fach-, Disziplin- und Statusgruppengrenzen hinweg passieren. Es bedarf also eines offenen, demokratischen Prozesses. Dafür notwendig ist die Bemächtigung von Studierenden, als bisher unterrepräsentierte Gruppe in universitären Strukturen und Entscheidungsprozessen.


Am Anfang des Prozesses steht die Forderung des Mitredens und Mitverhandelns. Sie umfasst das Bewusstwerden und die kritische Reflexion des Status Quo von Studierenden an der TU Berlin und beschreibt, wie sich sich gruppieren und organisieren. Eine studentisch gegründete Initiative tritt mit der TU Berlin in den Dialog und erwirkt die Aufnahme einer neuen Kategorie der studentischen Räumen in den offiziellen Regelwerken der TU Berlin und des Berliner Senats.
In der Modellphase wird anhand eines ergebnisoffenen und praktischen Experimentes am Beispiel des Mathegebäudes ein gesamtheitlichen Konzept für studentische Partizipation an der TU entwickelt. In paralleler Nutzung zur Baustelle werden Organisationsstrukturen erprobt, Räume gestaltet und neue Lehrformate ausprobiert und die Erkenntnisse bilden den Grundstein des dritten Zentralinstituts der TU Berlin: dem Institut für Mach Mal Mit. Die neuen, von Studierendne gestaltete Lernformate bilden den neuen Prüfungsbereich Freie Wahl Pflicht.














Weitere Modellprojekte wiederholen sich in den sich aufspannenden Möglichkeitsräumen in den renovierungsbedürtigen Hochschulgebäude entlang der von der Bauabteilung der TU Berlin vorgesehenen Renovierungskette bis das Institut für Mach Mal Mit in alle Gebäude eingezogen ist. Durch verschiedene Werkzeuge wie zum Beispiel die Antiplane, ein ergebnisoffener Masterplan oder verschiedene Formate von Sommerakademien reflektiert und erneuert sich das Institut für Mach Mal Mit ständig selbst und gewinnt zunehmend an Bedeutung.

INSTITUT FÜR MACH MAL MIT

Ziel des Transformationsprozesses ist die Bildung und campusweite Etablierung eines neuen, dezentralen Zentralinstituts an der TU Berlin mit der Aufgabe studentische Teilhabe an universitären Prozessen, Mitbestimmung und Mitgestaltung von Lehre administrativ und inhaltlich zu manifestieren. Aus dem Auftakt und Modellprojekt im ehemaligen Institut für Mathematik bildet sich das Institut für Mach Mal Mit. Es steht für die Ermächtigung von Studierenden, sich aktiv an Hochschulentwicklung, -organisation und Lehre zu beteiligen und verfolgt die Absicht, sie zu aktiven und dialogfähigen Gestalter:innen ihrer Universität zu qualifizieren. Am IfMMM werden Wege und Formate erprobt, wie Universität gemeinsam mit all ihren Akteur*innen gestaltet werden. Das  IfMMM ist kein Gegenmodell zur Institution Universität, sondern vielmehr eine sinnvolle Ergänzung des traditionell-akademischen Hochschulkonzepts. Die Organisationsstruktur beruht auf dem Prinzip der studentischen Selbstverwaltung. Und alle an der TU Berlin immatrikulierten Studierenden können sich aktiv daran beteiligen und in die Gremien und Arbeitsgemeinschaften des IfMMM wählen lassen. Durch gezielte öffentliche Formate werden zudem alle TU Angehörigen zum Teilnehmen am Institutsgeschehen eingeladen. Inhaltlich will sich das IfMMM zu einer sich stetig wandelnden Lern- und Nutzungslandschaft entwickeln und den Begriff Lehre völlig neu definiert.

Alltag im Institut für Mach Mal Mit. Ein unendlicher Möglichkeitenraum des Mitmachens, aktiv sein und Mitbestimmens.
Hier geht es zum Begleitbuch zum Prozess.
With: Magdalena Böttcher, Selina Schlez, Sina Jansen